Vielfach stellen sich werdende Eltern vor, sie werden die Babybetreuung dann noch so nebenbei machen. Aber dieser Job ist viel aufwendiger als erwartet. Denn ein neugeborenes Baby braucht ein rundum-immer-überall-und-darüber-hinaus-Engagement. Vielleicht haben Sie null Vorstellungen von dem tatsächlichen Zeit- und Energieaufwand und was die 24/7 der Überschrift für Sie bedeuten könnte.
Mit diesem Blog-Artikel möchte ich Klartext schreiben und dort, wo sinnvoll auch den Vergleich mit der Arbeitswelt hinzuziehen. Denn meistens ist die Parallele zur Erwerbs-Arbeit ziemlich einleuchtend und holt Sie hoffentlich leicht ab, weil Sie da ja wie viele Ersteltern voll drinstecken … Babybetreuung ist Care-Arbeit oder Sorge-Arbeit.
Inhalt
Babybetreuung als Vollzeit-Job
Zuerst einmal bedeutet Babybetreuung 24/7 also sehr viel Arbeit. Wenn also eine Betreuung über vierundzwanzig Stunden an sieben Tagen pro Woche gefragt ist, dann sind das schon mal 168 Stunden Arbeit. Ich probiere Ihnen eine praktische Vorstellung davon zu geben: 168 Stunden pro Woche bedeuten bei einem Stundensoll von 42 Stunden pro Woche ein Pensum von 400%.
Im Arbeitsleben würden also 4 Personen zu 100% angestellt, um dieses Ausmass von Betreuung zu gewährleisten. Damit wären für Sie auch Freizeit, ein arbeitsfreies Wochenende und die vorgeschriebene Ruhezeit abgedeckt.
Wenn wir in einer anderen Berechnung nun ein höheres Stundensoll eintragen, denn immerhin wird ja doch mit einem gewissen Mehr-Aufwand für die Betreuung des Babys gerechnet, dann wäre folgende Aufstellung mathematisch richtig und immer noch voll realistisch:
168 Stunden pro Woche bedeuten bei einem Stundensoll von 56 Stunden pro Woche ein Pensum von 300%.
Wenn Sie an ihrem auswärtigen Arbeitsplatz als Mitarbeiterin angefragt werden, ihr Stundensoll derart hochzufahren, dann arbeiten Sie an 5 Wochentagen mindestens 10 Stunden pro Tag und am sechsten Tag mindestens 6 Stunden. Und den Auftrag schaffen Sie nicht allein, sondern Sie bekommen zwei weitere Teammitglieder, die gleichviel und gleich ausdauernd wie Sie arbeiten. Und vergessen Sie nicht: Hier sind sowohl Frühdienst als auch Spät- und Nachtschicht nötig.
In der Arbeitswelt würden für einen so komplexen Auftrag und ein derart gefordertes Team sicher noch Zeit für Austauschsitzungen, Fortbildungen, Supervision, Coaching eingefordert. Das heisst, es schaffen es also auch drei Vollzeitstellen nicht. Und dazu käme, dass diese Anforderungen vielleicht ok wären für eine kurze Projektzeit von ein paar Wochen. Und übernommen würden gegen gute Bezahlung oder Anerkennung und Karrieremöglichkeiten.
Übrigens wäre es wegen der gesundheitlichen Situation der Mitarbeitenden gar nicht erlaubt, solche Arbeiten zu vergeben.
Ah ja, und was ist eigentlich mit der hier nicht berechneten Zeit für Hausarbeit, mit der Reinigung, dem Kochen und dem Einkauf?
Babybetreuung als Mutter-Job
Immer noch übernehmen Mütter viel mehr Betreuungsarbeit als die Väter der Kinder. Gewiss, es gibt Ausnahmen, aber es bleiben Ausnahmen. Fragen Sie in Ihrem Umfeld, glauben Sie meinen Erfahrungswerten.
Die Betreuung und Pflege eines Neugeborenen und Säuglings ist sehr intensiv. Diese ständige Verfügbarkeit braucht es, um die Bedürfnisse eines Babys im ersten Lebensjahr zu erfüllen. Sie sind deswegen keine Glucke oder Helikoptermutter, wenn Sie dem Baby Sicherheit und Geborgenheit vermitteln. Und Sie machen auch nichts falsch, wenn Sie fast nicht wissen, wie Sie das überhaupt fertigbringen sollten, ohne sich selber zu vernachlässigen. Ein Baby im ersten Lebensjahr zu betreuen und durch die verschiedenen Phasen zu begleiten, ist äusserst anspruchsvoll. Immer wieder mitzugehen in diesem ständigen Entwicklungs- und Anpassungsprozess: das ist hart, braucht Ausdauer und grosses Engagement. Aber es kann nicht sein, dass Sie das alles allein stemmen und es heisst nicht, dass Sie sich total verausgaben sollen. Denn eine Mutter braucht Unterstützung. Unterstützung jeglicher Art: vom Vater des Kindes, von Ihrer Partnerin, von den Grosseltern, der Familie, von ihrem Freundeskreis – am besten möglichst breit aufgestellt. Diese Ressourcen sind für Sie wichtig, damit Sie einigermassen gesund bleiben können.
Babybetreuung als Burnout-Job
Mütter leisten Unglaubliches – unbezahlt, ohne viel Unterstützung und Anerkennung. Schliesslich haben Sie das Baby ja gewollt, oder?
Immer wieder wird Ihre Betreuungsarbeit kleingeredet, verniedlicht, privatisiert. Selbst in feministischen Kreisen sind Sie oft als Frau nicht genug, wenn Sie nur Mutter sind. Denn Sie sollen zusätzlich finanziell unabhängig, im Alter abgesichert, in Ihrer Erwerbsarbeit erfolgreich sein. Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist in aller Munde, es wird pausenlos darüber geredet, aber quasi nichts davon umgesetzt.
Denn wie sollte Vereinbarkeit ohne Burnout zu schaffen sein, wenn die Väter nicht mehr Unterstützung bieten? Wie sollten Sie als Mutter das oben ausgerechnete Pensum von 300% über eine lange Zeit alleine stemmen? Wie sollten Sie gleichzeitig Ihre Erwerbsarbeit nicht vernachlässigen, den grössten Teil der Hausarbeit erledigen und dann von Ihren Werten her noch achtsam und ökologisch nachhaltig unterwegs sein?
Auch mit einem Anteil Kita und auswärtiger Kinderbetreuung wird nicht automatisch alles leichter: Termine sind vorgegeben, Absprachen müssen eingehalten und Regelungen getroffen werden. Oft steigen durch diese Betreuungsmöglichkeiten leider auch die Ansprüche an Sie als Mutter, statt Ihnen etwas Freizeit und Erholung zu gönnen.
Gesundheitlich sind Sie als Mutter mit Baby gefährdet. Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Rückbildungszeit sind grosse körperliche Veränderungen – 18 Monate lang wird der Mutterkörper beansprucht, das macht keine einfach so nebenbei. Auch hier vermisse ich die Anerkennung dieser körperlichen Leistung. Im Sport bekämen Sie Prestige, Medaillen und lukrative Werbeverträge – im Alltag mit Baby ist es selbstverständlich, dass Sie auf vollen Körpereinsatz gehen und nichts dafür erwarten.
Babybetreuung als Vater-Job
Ein Vater wird gefeiert, wenn er die Erwerbsarbeit auf ein 90% Pensum senkt, bei einem Vaterpensum von 80% ist ihm die Huldigung des ganzen Quartiers sicher. Ich spreche hier von privilegierten Familien, die sich das finanziell leisten könnten. Von Familien, welche die Ressourcen hätten, die Betreuung des Babys oder der Kinder gerechter zu verteilen. Und es trotzdem nicht tun. Wo immer noch die Mütter den Mental Load tragen, wo Väter „helfen würden, wenn sie gesagt bekämen, was es zu tun gibt“, wo die Arbeit im Büro halt doch angenehmer ist als ein Tag zu Hause mit quengelndem, zahnendem Baby.
Väter müssen mehr Kinderbetreuung übernehmen, und zwar zuverlässig, konstant, präsent. Sie müssen abrufbar und verfügbar sein, das braucht ein Baby. Und Väter sollen Bezugsperson sein können, weil sie viel Zeit mit ihrem Kind verbringen, seine Babysignale kennen und feinfühlig reagieren lernen. Auch ein Vater kann trösten, halten, tragen, aushalten, wenn sein Baby überreizt, müde, traurig oder krank ist. Aber es ist learning-by-doing, diese Skills werden erarbeitet. Darum ist Care-Arbeit auch väterliche Arbeit. Und es gibt genügend Stunden Arbeit. Denn Arbeit mit Menschen kann nie effizient, rentabel und leicht sein.
Bild: didymos.de