Nach der Geburt ist nicht vor der Schwangerschaft

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Selbst wenn es eine lange Geburt war – die Veränderung passiert doch plötzlich und unumkehrbar.

Die körperliche Umstellung ist heftig, das Tempo rasant. Nach ausgiebigen neun Monaten der langsamen Anpassung geschieht in einigen Stunden sehr vieles. Nach der Geburt ist nicht vor der Schwangerschaft. Dass der Mutterkörper eine Geburt durchmacht, ist vorgesehen und dabei ist auch grad ein allererster Teil Rückbildung inklusive. Schon in den ersten Stunden nach der Geburt ist nichts mehr so wie kurz vorher.

Neun Monate Schwangerschaft haben einmalige innere Umstellungsvorgänge in Gang gesetzt, Organe wurden durch das Baby weggedrängt. Die Schwangere wurde aufgeweicht, gelockert, geweitet, gedehnt, gezogen, bis an den Rand gefüllt. Und dann in strenger Arbeit mit der Geburt wieder geleert. Davon gibt es Spuren, Veränderungen, auch Wunden. Die Geburt stellt nicht das Ende einer Ära dar, sondern offenbart eher einen Übergang in eine neue Sphäre. Und in dieser Dimension ist der Anfang schwer: noch nichts ist fertig, alles «under construction» oder «work in progress».

 

Gebärmutter und Bauchraum im Umbau

Das Kind ist draussen, die Plazenta abgelöst, das Fruchtwasser abgeflossen – die Füllung der Gebärmutter ist weg. Sie fängt sofort an, sich mit den Nachgeburtskontraktionen zusammenzuziehen und erreicht nun nur mehr Nabelhöhe. Der Innenraum der Gebärmutter verkleinert sich innert kurzer Zeit ungemein. An der ehemaligen Andockfläche der Plazenta bleibt eine oberflächliche Wunde zurück, die durch das abfliessende Blut und später durch das austretende Wundsekret zuverlässig gereinigt wird. Diese Flüssigkeit heisst Wochenfluss oder Lochien.

Für den Bauchraum bedeutet diese erste Verkleinerung der Gebärmutter eine erhebliche Änderung im Füllungsgrad und somit Rück-Verschiebungen und Herumrutschen von anderen inneren Organen. Die Därme gleiten zurück in ihre angestammten Gebiete und die Blase hat wieder viel mehr Platz. Der Magen sackt etwas ab.

Das gibt ein eher wackeliges Körpergefühl der Innenverhältnisse: «sich-leer-fühlen», «unbekannte, fremde Empfindungen», «Nicht-mehr-bei-sich-zuhause-sein». Verstärkt wird dieser Zustand durch die Tatsache, dass die Bauchdecke sowohl für die Augen als auch rein körperlich momentan nur wenig Halt und Stütze bietet. Ganz anders in der Wirkung als ein voll ausgefüllter Babybauch.  Weil die Haut so stark überdehnt und die darunterliegenden Muskeln ebenfalls tüchtig auseinandergezogen wurden, ist die Bauchdecke jetzt weich, teigähnlich und schwabbelig. So ist es eine Herausforderung, ein neues, vertrauenerweckendes Körpergefühl aufzubauen.

 

Becken und Beckenboden als instabile Basis

Die grossen und starken Knochen des Beckens sind mit Gelenken verbunden, die die meiste Zeit im Leben fest und quasi unbeweglich sind. Deshalb ist das Becken die Basis für Stabilität im Körper.

Bei der Geburt ist aber kurzfristig jeder verfügbare Zentimeter im Beckendurchgang vonnöten und deshalb mehr Flexibilität als Stabilität gefragt. Damit das kurzfristig so geschehen kann, wurde schon während der ganzen Schwangerschaft daraufhin gearbeitet: Schwangerschaftshormone lockerten das Gewebe und die Gelenke, dadurch wurde das Becken beweglicher und hat mehr Raum das Kind durchzulassen.

Auf dem Geburtsweg werden die Beckenknochen gedehnt, das Steissbein leicht nach hinten gedrückt. Die Muskeln vom Beckenboden werden stark ausgewallt und auseinandergezogen, die Scheide etwas gequetscht. Das ist in Ordnung so, nichts falsch dabei. Das war der Weg des Babys und eine Geburt bedeutet die grösste mögliche Öffnung des Körpers. Mehr geht gar nicht auf Körperebene.

Das erklärt doch einiges. Respekt und Wertschätzung für diese ausserordentliche Leistung sind angezeigt. Der Mutterkörper braucht anschliessend Zeit – solch extreme Zustände hinterlassen Spuren und brauchen deshalb unbedingt eine Nachbearbeitung. Im Wochenbett ist erst mal Erholung und Ruhe angesagt.

 

Landen und zur Ruhe kommen

Nach der Geburtsarbeit erst mal etwas verschnaufen. Das ist hoffentlich möglich. Manchmal aber gar nicht so einfach, weil das Innere sehr aufgewühlt ist. Aufgewühlt und bewegt vom Erlebten, von Freude, von grosser Anstrengung und ungewohnten Empfindungen. Da für die Geburt manchmal sehr spezielle Atemmuster angewendet werden, kann von dort her auch noch etwas Verwirrung hängen bleiben. Die Lungen und der Brustkorb haben sofort wieder mehr Volumen, im besten Fall verhilft die wiedergewonnene Beweglichkeit des Zwerchfells zu einem tieferen Atem und damit zu mehr Kapazität.

Das vegetative Nervensystem, das für die inneren Organe zuständig ist, meldet viele Bewegungen, Tätigkeiten und Veränderungen. Alle diese Empfindungen sind auf eine ganz andere Weise spürbar als Muskelbewegungen. Im Alltag gibt es viel weniger Signale als jetzt grad. Diese innere Bewegtheit braucht Ruhe und Erholung.  Also Pause machen, überhaupt ankommen. Noch nicht alles wissen und können. Einfach mal überhaupt im «neuen» Körper landen. Nicht zu vergessen, dass der Entzug der schützenden Schwangerschaftshormone spürbar wird und an deren Stelle für Stillen und Bonding eine neue Hormongruppe heranrauscht.

Es ist eine Landung in vorwiegend unbekanntem Terrain. Auch wenn es dazu eine Landkarte gäbe – alles ist vorübergehend, provisorisch, noch nicht etabliert oder individuell angepasst. Und im Vergleich zum Anpassungstempo in den neun Monaten Schwangerschaft verläuft die jetzige Umstellung überfallartig. Und dann, wenn das Provisorium aufgehoben werden kann, dann kommt die Rückbildungsphase – die dauert notabene wieder (mindestens) neun Monate.

 

Foto Landkarte: wibas.com

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