«Ohne Stillen wäre alles einfacher» Meine Antwort an Väter

Veröffentlicht am Kategorisiert in Baby, Gleichberechtigung

Grundsätzlich gibt es für Eltern genügend Arbeit rund um ein Baby. Daran kann es nicht liegen, dass das Teilen der Babybetreuung nicht funktioniert. Eine Konfliktzone ist immer wieder das Stillen.

Wenn tatsächlich das Stillen die Übernahme von Betreuungsverantwortung bei Vätern verhindern würde, dann müsste in dieser Logik ja die Väterbetreuung im Beikostalter und nach dem Abstillen abrupt hochschnellen. Passiert aber nicht.

Nach meiner Erfahrung übernehmen Väter, die übernehmen wollen trotz dem Stillen. Andere finden in der Kontroverse um das Stillen Argumente, die sie von ihrem eigenen Druck befreien. Sie denken, sie würden ja, wenn sie nur könnten, aber sie müssen nun nicht. Und eine dritte Gruppe möchte gar nicht, aber sollte doch. Diese Väter lassen es sein, mit und ohne Stillen.

Hier ein paar Überlegungen, die Sie als Vater motivieren sollen, trotz Schwierigkeiten dran zubleiben.

Wie Sie als Vater die Situation einschätzen können

Oft merken die Mütter zuerst, dass das Stillen ein Problem sein könnte. Nicht immer wird es von den Vätern so direkt formuliert, ist aber unterschwellig ein Thema.

„Wenn das Stillen nicht wäre, dann wäre alles einfacher». Sind Sie sicher? Was genau wäre einfacher ohne Stillen?

Im Kontext meiner beruflichen Erfahrung fühlen sich Väter häufig ausgeschlossen, wenn sie das Stillen sehen. Sie glauben, dass sie im Nachteil sind, weil sie selber ihr Baby nicht stillen können.

Ist das tatsächlich so? Falls die Mutter weniger stillen würde, würde dann der Vater automatisch eine begehrenswerte Bezugsperson werden? Wird es für den Vater leichter, wenn es für Mutter schwieriger würde? Wenn es statt um Ihre Vaterqualitäten um ein anderes gemeinsames Projekt ginge: würden Sie da Ihrem Teammitglied auch raten, vorsätzlich eine vorhandene Kompetenz nicht einzusetzen, nur weil Ihnen selbst diese Funktion nicht zur Verfügung steht?

Vielleicht möchten Sie als Vater die Mutter auch einfach unterstützen, ihr etwas abnehmen. Wenn Sie sehen, wie zuverlässig Stillen beim Baby wirkt, dann möchten Sie ebenfalls einen wertvollen Beitrag für das Baby leisten. Sie möchten es auch rasch beruhigen können.

Das ist verständlich und zur Erwerbung dieser Skills gibt es genügend Gelegenheiten , das versichere ich Ihnen.

Auch wenn 10 Stunden pro Tag gestillt wird, es bleiben Ihnen immer noch 14 von 24 Stunden Betreuungszeit, um dem Baby eine stabile Betreuungsperson ausserhalb des Stillens zu sein.

Wenn Sie sich die Situation pragmatisch anschauen – warum sollten Sie etwas aufgegeben, was funktioniert? Warum (noch) mehr Unsicherheiten schaffen, als Sie als Eltern sowieso schon haben?

Mein Vorschlag: Nehmen Sie das Stillen als gemeinsamen Vorteil in der Babybetreuung und schaffen Sie weitere Vorteile, indem Sie als Vater eine eigenständige, vom Stillen unabhängige Bindungsperson werden.

 

Wie Sie als Vater nichtstillende Bindungsperson werden

Ein Baby braucht neben der Nahrung fürs Überleben Körperkontakt und Nähe, Wärme, Pflege, Kommunikation und Bindung. Ihr Baby hat kein Konzept für Genderkategorien – es braucht einfach Sie als Mensch, der verfügbar, zugänglich, bereit, vorhanden und abrufbar ist für die Erfüllung seiner Bedürfnisse.

Wenn Sie eine Bindungsperson werden wollen, dann müssen Sie sich anstrengen. Sehr wahrscheinlich anders, als Sie es sich bisher gewohnt waren. Denn Sie müssen tatsächlich körperlich und mental präsent sein. Also digital off-line und verfügbar und bereit, kurze Reaktionszeiten (15 Sekunden) einzuhalten. Wenn Sie jeweils feinfühlig und angepasst auf Ihr Baby reagieren, dann bekommen Sie Chancen, eine Bindungsperson zu werden.

Ein Baby kann mit verschiedenen Betreuungsstilen klarkommen, das heisst aber nicht, dass Sie das Baby unbedingt herausfordern und damit überfordern sollen. Ihr Baby kennt seine Mutter 9 Monate länger als Sie. Es hat während der ganzen Schwangerschaft im Mutterkörper gewohnt, es kennt die Bewegungen, diese Umgebung. Lernen Sie von diesem Erfahrungsvorsprung – das würden Sie an Ihrem Arbeitsplatz auch tun.

Glauben Sie nicht, dass das Baby halt mit viel Weinen dann schon merken wird, dass es anders auch gehen muss. Das Baby lernt nichts, wenn es viel weinen muss. Denn Weinen bedeutet grossen Stress. Und bei Stress lernen Menschen und Menschenbabys nicht. Also sollte sich das Baby bei Ihnen trotz der fremden, ungewohnten Situation sicher und getragen fühlen.

Genau das muss die Betreuungsperson rüberbringen. Das heisst für Sie, dass Sie vor allem echt sein müssen. Die Mutter nachzuahmen wäre nicht authentisch und Ihr Baby nimmt Ihnen das nicht ab. Es sucht Sie, das was Sie bieten können. Und es wird Ihnen immer mehr vertrauen.

 

Wie Sie als Vater Kommunikation und Körperkontakt einsetzen

Wie können Sie selbst präsent sein, sich motiviert und zuversichtlich fühlen? Wie können Sie sich selbst beruhigen?

Das Baby wird über Körperkontakt und Kommunikation co-reguliert, es spürt über seinen eigenen Körper, was Sie ihm vormachen. Es lernt so Übergänge zu machen, zum Beispiel den Übergang von Aktivität zu Beruhigung. Übergange müssen lange begleitet werden – die Erwachsenen zeigen, wie das geht und es ist auch für sie gar nicht so einfach…

Sobald das Baby keinen Hunger mehr hat, gibt es viele Möglichkeiten, wie Sie mit Ihrem Baby Zeit verbringen. Denn Sie müssen Zeit zusammen mit dem Kind verbringen, wenn Sie es ernst meinen mit dem Teilen der Babybetreuung. Ein bisschen spielen und Windeln wechseln reicht nicht.

Trösten, einschlafen helfen, Halt geben, Verdauen unterstützen, Nähe und Körperkontakt bieten. Anwesend sein und zuverlässig prompt reagieren. Immer wieder eine feinfühlige Antwort auf das Bedürfnis des Kindes finden.

Dabei ist es sehr praktisch, die Signale des Babys zu verstehen: wie zeigt es, dass es müde ist, Hunger hat, unwohl ist? Hier eine kleine Auswahl.

Wenn Sie ihr Baby «lesen» können, dann werden Sie viel angepasster reagieren. Und die prompte adäquate Antwort wird wirken. Das Baby fühlt sich verstanden und Sie fühlen sich kompetent – die positiven Effekte auf beiden Seiten können Sie sich vorstellen.

 

Wie Sie als Vater väterliche Kompetenzen aufbauen

Es gibt angeborene elterliche Kompetenzen im Umgang mit Babys und erlernte Kompetenzen. Freuen sie sich darauf, jeden Tag kompetenter zu werden. Das gelingt durch Probieren. Kommunizieren Sie mit Ihrem Baby, lernen Sie es kennen, lernen Sie von Ihrem Baby. Machen Sie tagtäglich ein konsistentes Angebot von Präsenz und Regulation.

Das ist nicht einfach, das braucht Geduld und Verständnis und die Bereitschaft, immer wieder dasselbe zu tun: Zur Verfügung stehen, bereit sein, echter Kontakt und Kommunikation.

Beim Stillen wird Vieles davon gleichzeitig gemacht. Stillen stört nicht. Stillen ist superpraktisch. Behalten Sie sich dieses Instrument. Sie haben rundherum genug zu tun. Denn wie gesagt: Bezugs- und Bindungsperson werden, das müssen Sie sich erarbeiten.

Falls Sie Interesse haben, Ihr Baby besser zu verstehen, seine Signale lesen zu können und gleichzeitig Ihre Kompetenzen als Vater ausbauen möchten – ich unterstütze Sie gerne dabei!

 

Bis dahin noch ein paar Blog-Empfehlungen: Von guten Eltern, geborgen wachsen, Jochen König

Bild: WELEDA Magazin

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